Enigmatische Dokumente
Fotografien von unidentifizierten Flugobjekten
„Der liebe Gott macht Fotos!“
(Bemerkung eines Kindes während eines Gewitters)
Eine Ausstellung mit und über Fotografien von etwas, von dem wir per definitionem nicht wissen, was es ist, muss notwendigerweise sowohl die Fotografien als auch das Fotografierte befragen. Bei der Betrachtung von Fotos von UFOs befinden wir uns in einer logischen Zwickmühle: Wir können entweder argumentieren, dass es UFOs geben müsse, da sie ja fotografiert worden sind, oder wir können argumentieren, dass alle UFO-Fotos gefälscht oder als Sinnestäuschung erklärbar sein müssen, da das angeblich fotografierte Objekt ja nicht existieren kann. So oder so, wir argumentieren auf trügerischem Grund; denn weder sind Fotografien die zuverlässigen Zeugnisse, als die sie gelegentlich angeführt werden, noch ist die moderne Wissenschaft in der Lage, jedes irdische und himmlische Phänomen hinlänglich zu erklären. Da die Unzulänglichkeit der Fotografie hier als bekannt vorausgesetzt werden darf, soll zunächst nur das Unidentifizierte interessieren.
Als im Sommer 1947 die ersten fliegenden Untertassen beobachtet wurden, war das verständlicherweise Stoff für sensationelle Meldungen. Die zunehmende Anzahl der Sichtungen und der Mangel an plausiblen Erklärungen bildeten die Grundlage für vielfältige Spekulationen, von denen die Vermutung, es handele sich um Raumfahrzeuge ausserirdischer Herkunft, bis heute die populärste ist. Ganz offensichtlich haben die Leute irgend etwas gesehen (die Zahl der registrierten Sichtungen beläuft sich auf etwa 100.000), und was sie gesehen haben, wissen wir in vielen Fällen bis heute nicht. Ihre Beschreibungen passen jedenfalls nur mit Mühe in etablierte Welterklärungsmodelle und sind mit den uns zur Verfügung stehenden Methoden nicht zufriedenstellend zu analysieren – sie scheinen also unseren wissenschaftlichen Bezugsrahmen zu sprengen.
Bemerkenswert ist hier zunächst einmal der Zeitpunkt: Das gelegentlich zur Hysterie sich steigernde Interesse am Unidentifizierten entwickelte sich kurz nach dem Ende des Weltkriegs, zu einer Zeit, als die atomare Bedrohung real und die globale Katastrophe denkbar geworden waren und als traditionelle Religionen zwangsläufig ihre Autorität verloren hatten, während der Okkultismus im Wissen um das vergangene Grauen Hochkonjunktur feierte. Der zunehmend spezialisierte wissenschaftliche Diskurs war nur noch theoretisch zu verstehen, die Welt hatte ihre Anschaulichkeit verloren, und ihre Theorie war nicht einmal mehr vorstellbar. Die technologische Entwicklung hingegen überraschte die Zeitgenossen mit praktikablen Maschinen, Apparaten und Materialien (Raketen, Computer, Plastik), von denen wenige Jahre zuvor nur kühne Phantasten zu träumen gewagt hatten.
Das technisch-wissenschaftliche System war etabliert, vieles war technisch machbar geworden (z.B. ganz viele Kommunisten umbringen, ohne sich selbst in die UdSSR zu begeben) und vieles schien demnächst machbar zu werden (z.B. den Mond erobern, bevor es die Russen tun) – eine Situation, die die Phantasie beflügelt und zugleich ein spirituelles Vakuum erzeugt. All die wunderbaren neuen Dinge, die irdische Wissenschaftler und Ingenieure entwickeln, stellen den lieben Gott als Schöpfer in Frage, allerdings wird es ein bisschen einsam hier, so ganz ohne ihn. Was wäre also, wenn es doch jemanden gäbe irgendwo da draussen in der Unendlichkeit (auch so eine Idee, die sich niemand vorstellen kann) – wenn schon keinen Gott, dann vielleicht andere Lebewesen? Wir haben ja gelernt, dass die Lichter da oben keine Dekoration unseres Himmels sind, sondern Sonnen, die auch Planeten haben könnten. Und was, wenn diese Lebewesen so intelligent wären wie wir oder gar noch intelligenter? Nun, erstens wären wir nicht mehr allein, und zweitens könnten die anderen uns retten.
Mit solchen Fragen lassen uns die anmassenden Beherrscher der Welt allein. Jede neue wissenschaftliche Erkenntnis bringt nur ein neues Problem zum Vorschein, und es wird immer offensichtlicher, dass wir – gemessen an dem, was wir vielleicht gerne wüssten und vielleicht irgendwann wissen werden – verdammt wenig wissen. Diese Situation spitzt sich heute zu; seit Stephen Hawkins, unser Experte fürs Zeitliche, vergangenes Jahr mit der Mitteilung aufwartete, er halte Zeitreisen für möglich, seit im selben Jahr die Existenz von Planeten ausserhalb unseres Sonnensystems erstmals bewiesen und die seit den 30er Jahren theoretisch bekannte Anti-Materie erstmals experimentell nachgewiesen wurde, häufen sich die Fragen. Wenn nun aber die notorischen Besserwisser keine befriedigende Erklärung für das liefern können, was ich letzte Woche mit eigenen Augen gesehen habe (es glänzte silbrig am Himmel, bewegte sich sprunghaft und war plötzlich wieder verschwunden), dann muss es etwas Ausserirdisches gewesen sein – denn alles Irdische können die Herren ja angeblich erklären. Logisch, nicht? Alle Macht der Phantasie, und nicht an das schwere Essen denken, das meiner Beobachtung vorausging.
Zurück zu den Anfängen: Kurz nach dem ersten Bericht über fliegende Untertassen verzeichnete die westliche Welt eine Inflation von Sichtungen. Die Sensationsberichterstattung des Jahres 1947 erreichte ihren Höhepunkt im Sommerloeh, als ein Presseoffizier der amerikanischen Luftwaffe den Absturz einer Untertasse in der Nähe von Roswell meldete. Das kurz darauf veröffentlichte Dementi vermochte der guten Nachricht keinen Schaden mehr zuzufügen; jede von offizieller Seite vorgetragene Erklärung stand im Verdacht der Vertuschung der Wahrheit: Unsere Regierungen und deren Geheimdienste, allen voran selbstverständlich die amerikanische und deren CIA, verschleiern Tatsachen und verheimlichen Beweise; in geheimen Labors in militärischen Sperrgebieten werden abgestürzte UFOs analysiert, wieder flott gemacht und experimentell erprobt, die Insassen der havarierten Raumschiffe werden dort gefangengehalten, die Verstorbenen obduziert, die Überlebenden als Regierungsberater engagiert. Nur uns sagt wieder mal keiner etwas.
Ganz offensichtlich ist bei Roswell irgend etwas abgestürzt, und da die Absturzstelle in der Nähe jener Basis liegt, auf der das erste Atombombengeschwader stationiert war, hatten die mit der Bergung und Untersuchung beauftragten Militärs wohl Grund zur Diskretion; ganz offensichtlich wurden und werden in einem militärischen Sperrgebiet in Nevada Fluggeräte wie die U-2 und der Stealth-Bomber entwickelt, von denen Aussenstehende möglichst nichts wissen sollten – Geheimhaltung ist nun einmal der Mantel des Geheimen, und ob wir das gut finden oder nicht, spielt im Moment eine untergeordnete Rolle. Doch nicht zu wissen, was da vor sich ging und geht, weckt selbstverständlich Neugier und beflügelt die Phantasie einer interessierten Öffentlichkeit.
Für neue Sensation sorgten schon bald die „Kontaktler“ – Menschen, die behaupten, von Ausserirdischen teils auf telepathischem Weg, teils im direkten Kontakt Mitteilungen empfangen zu haben; diese warnen vor den Gefahren der Atomenergie und der Überbevölkerung und halten uns zu vegetarischer Ernährung an (bemerkenswert ist, dass diese guten Wesen durchweg als strahlende Arier geschildert werden). Wir sollten das selbstredend sehr ernst nehmen, denn wenn die anderen Kontakt mit uns aufnehmen können, müssen sie ja intelligenter sein als wir; doch unsere Regierungen wollen wieder einmal nichts begreifen. Niederschlag fand die Kontaktaufnahme zwar in Hollywood, doch seit ein niedlicher ET ein vertrauter Anblick in jedem Kinderzimmer ist, hat der gute Ausserirdische seinen Sensationswert verloren.
Dies bildet den Hintergrund der neuesten Sensation, die gegenwärtig unsere Medien beschäftigt: Entführung und Missbrauch. Ausserirdische belästigen nachts harmlose Bürger, verschleppen sie in Raumschiffe, entnehmen Sperma und Eizellen, vergewaltigen auch ab und zu, um später die hybriden Föten zu entnehmen, setzen den Geschundenen kleine Sender ins Gehirn und entlassen sie dann wieder mit ein paar gutgemeinten Ratschlägen (Atomenergie, Überbevölkerung, vegetarische Ernährung). Das Böse hat zugeschlagen, aber die überlegene Macht lässt uns nicht ohne Hoffnung: Der Untergang ist nah, doch wird die menschliche Spezies an anderem Ort dank eines ordentlichen Vorrats an genetischer Information weiterleben – wir haben wieder eine Zukunft, und sei es auch im Jenseits.
Das ist – in groben Zügen – unser Problem, und um dieses Problem herum werden seit beinahe fünfzig Jahren Bilder gemacht. Das erste Foto eines UFOs entstand bereits wenige Tage, nachdem die ersten Zeugenberichte veröffentlicht worden waren – ein undeutliches Etwas vor himmlischem Nichts, das, selbst wenn es authentisch sein sollte, absolut nichts beweisen kann, ausser dass irgend etwas eine merkwürdige Spur auf einem Foto hinterlassen hat. Aber der Wunsch nach einem sichtbaren Zeichen scheint überwältigend gewesen zu sein – ein verständliches Begehren nicht nur, weil wir eher geneigt sind, etwas Glauben zu schenken, nachdem wir es gesehen haben, sondern auch, weil die zu der Zeit prächtig florierende illustrierte Presse mit Bildern bewusstseinsbildend zu wirken zum Programm erhoben hatte (wir befinden uns in der Frühzeit der „totalen Fotografie“). Sowohl die journalistische als auch die wissenschaftliche Fotografie dienten als anerkannte Erkenntnis-Instrumente, und wenn Bilder auch nicht immer als Beweise taugen mochten, so enthüllten sie doch das vorher nicht Gesehene. Seine Glaubwürdigkeit hat das fotografische Verfahren später nicht zuletzt an gut gefälschten Fotos nie gesehener UFOs eingebüßt (und das ist schließlich auch ein Verdienst).
Zunächst jedoch bestimmten rein verbale Zeugenaussagen die mediale Präsenz der UFOs, die Jagd nach dem einen wahren Bild erwies sich als trickreich; 1954 wurde gar ein Millionenpreis für ein nicht zu widerlegendes Foto ausgesetzt – und nie vergeben. Jede in der Presse gemeldete UFO-Sichtung zog weitere Sichtungen nach sich, jedes veröffentlichte Foto brachte neue Fotos hervor, und seit die Gefräßigkeit des privaten Fernsehens unser mediales Verhalten prägt, tauchen angeblich Missbrauchte schneller in Talkshows auf als die Außerirdischen vergewaltigen könnten. Doch wirken die Medien nicht nur quantitativ stimulierend, sie beeinflussen auch die Art der Berichte: Nachdem ein englischer Special-Effects-Experte 1987 ein UFO-Modell und ein krakenartiges Wesen angefertigt und ein Foto davon in die Presse lanciert hatte, wurde dieser neue Typ Alien in den folgenden Wochen mehrfach gesichtet. Auch weisen viele Protokolle unheimlicher Begegnungen erstaunliche Parallelen zu Science-Fiction-Filmen auf. selbst die heutigen Abduktionsschilderungen sind in der einschlägigen Literatur der dreißiger Jahre bereits vorweggenommen. Autosuggestion auf der Grundlage bekannter Phantasien scheint hier also eine nicht unbedeutende Rolle zu spielen. Eine neue Qualität haben UFO-Berichte seit dem ersten Schock (es gibt sie wirklich!) eigentlich nie mehr erreicht.
Die „Mängel“ des ersten UFO-Fotos sind auch für die folgenden in mehr oder minder ausgeprägter Form kennzeichnend (mit Ausnahme einiger von Kontaktlern aufgenommener Bilder, die manchmal so deutlich sind, dass selbst ungeübte Betrachter das als Modell verwendete Spielzeug identifizieren können). Im anhaltenden UFO-Streit wird jedes auftauchende Foto von selbsternannten Experten untersucht, wobei eine bemerkenswerte Methodenvielfalt zur Anwendung gelangt, die vom inspirierten Auspendeln bis zur computergestützten Fotoanalyse reicht. Diese verdient besondere Beachtung, denn hier wird ausgerechnet die Technik, die selbst den letzten Fotogläubigen von der völligen Manipulierbarkeit überzeugt haben müsste, eingesetzt, um Fälschungen auf die Spur zu kommen oder, interessanter noch, um zweifelhafte Bilder zu verifizieren. Nachdem die digitale Technik Fotos zu Rohstoffen der Imagination degradierte, wird jetzt dem Computer jene magische Kraft zugeschustert, die die Kamera gerade eingebüßt hat. So wird möglich, dass ein Rechner eines Tages Bilder für echt erklärt, die er zuvor selbst gefälscht hat.
Tatsächlich konnte die Mehrzahl der UFO-Fotos als mehr oder weniger raffinierte Fälschung enttarnt oder als Sinnestäuschung erklärt werden, doch bleiben selbst für passionierte Skeptiker etwa vierzig Bilder, die als echt (das heisst allerdings nichts anderes als unidentifiziert) gelten, und diese fungieren als Heiligenbildchen eines modernen Glaubens. Es handelt sich dabei wohlgemerkt um Fotografien, die eine harte digitale Inquisition überstanden haben – an der das Turiner Leichentuch scheiterte; das Christentum hat zwar weinende Madonnen und periodisch blutende Jesus-Statuen hervorgebracht, mit einem Foto von Gott konnte bislang keiner aufwarten. Als spirituelles Abfallprodukt des technisch-wissenschaftlichen Zeitalters haben Berichte von UFOs religionsstiftend gewirkt, und ähnlich wie zur Zeit der Entstehung des christlichen Glaubens sucht eine Vielzahl von Gruppen und Sekten den richtigen Weg zu Wahrheit, Glück und Ewigkeit (selbst Jesus hätte damals das Christentum nicht mehr aufhalten können, die Skeptiker stehen also auf verlorenem Posten).
Im Dunstkreis dieses Glaubensstreits (von etwas anderem kann man kaum sprechen) entwickelt sich eine Bildwelt, in der mystische Symbolik und technoide Phantasie sich mit der Ästhetik des Schnappschusses vermischen; ergänzend dient hartes dokumentarisches Material vom Typ Polizeifoto als Beweis außerirdischer Intervention. All diese Bilder stützen Legenden und Konspirationstheorien, auf denen wiederum ein reghafter Handel mit Traktaten und Devotionalien aufbaut; die Branche setzt, insbesondere mit Büchern und Zeitschriften, Millionen um, die Menge der Publikationen und ephemeren Produkte ist nicht mehr überschaubar – den Gipfel des merkantilen Geschicks markiert vielleicht die Wallfahrt nach Roswell, zum Pauschalpreis als Leserreise beim UFO-Magazin zu buchen. Nach Beweisen für den religiösen Charakter und die Geschäftstüchtigkeit der Ufologen wird niemand lange suchen müssen, einen Beweis der Existenz von UFOs sind sie uns bislang schuldig geblieben. Da helfen selbst ihre Fotos nicht – aber manche sind immerhin großartige Bilder.
Joachim Schmid
April 1996
Dieser Text entstand als Einführung zur gleichnamigen Ausstellung im Rahmen der Rencontres Internationales de la Photographie und erschien in französischer, englischer und spanischer Übersetzung in Réels, Fictions, Virtuel, Arles 1996.
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